Montag, 20. November 2017

Gute Sätze 1: Geschwurbel eines Regionalentwicklers glatt gezogen


Die Textwelt ist voller Geschwurbel. Geschwurbel sind Texte, 

  • die so formuliert sind, dass sie möglichst niemand liest,
  • die dem Kopf richtig weh tun, wenn er gezwungen wird, sie doch zu lesen,
  • in denen ein Wichtigtuer sich wichtig tut, ohne den Lesern substanzielles Wissen zu vermitteln.
Es ist recht einfach, solche Texte glatt zu ziehen und in lebendiges Deutsch zu verwandeln. Dafür gibt es sogar Regeln. 

Du quälst dich eine Viertelstunde lang durch einen solchen Text und fragst dich danach: Äh - was habe ich jetzt gelernt? Hier ein Beispiel. Ein westfälischer Regionalentwickler schreibt auf seiner höchst innovativen Website:

Daher ist die direkte und persönliche Ansprache der Menschen vor Ort besonders wichtig und entscheidend. Dabei soll die überdurchschnittlich hohe Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zum ehrenamtlichen Engagement zur Entschärfung der strukturbedingt problematischen Mobilität und Daseinsvorsorge genutzt werden.

Ich übersetze den Absatz in klares, lebendiges Deutsch:

Es kommt darauf an, die Menschen vor Ort direkt und persönlich anzusprechen. Dorfbewohner* sind überdurchschnittlich stark ehrenamtlich engagiert. Deshalb bieten sich besondere Chancen, Mängel in der Verkehrs- und Versorgungs-Infrastruktur „im Verein“ abzufangen.

Dabei habe ich folgende Regeln benutzt:

  1.  Substantive durch Verben ersetzen: Statt "Ansprache der Menschen" sage ich: "Menschen ... anzusprechen". Statt "überdurschschnittlich hohe Bereitschaft zum Engagement" sage ich: "Dorfbewohner sind überdurchschnittlich stark engagiert". Statt "Entschärfung der ... problematischen Mobilität usw." sage ich: "Mängel in der Infrastruktur abzufangen".
  2. Floskelhafte Adjektive durch kräftige Redewendungen ersetzen: Statt "xy ist besonders wichtig und entscheidend" sage ich: "Es kommt darauf an, xy zu tun". Eine Redewendung, die auf einen berühmten Satz von Marx und Engels zurückgeht.
  3. Schachtelsätze auf zwei Sätze aufteilen: Statt "Dabei soll die Bereitschaft ... zur Entschärfung ... genutzt werden" sage ich: "Dorfbewohner sind ... Deshalb bieten sich ..."
  4. Passivsätze in Aktivsätze verwandeln: Statt "xy soll genutzt werden" sage ich: "... bieten sich Chancen, Mängel ... abzufangen". 
  5. Abstrakte Begriffe durch konkrete oder geläufige Begriffe ersetzen: Statt "strukturbedingt problematische Mobilität und Daseinsvorsorge" sage ich: "Mängel in der Verkehrs- und Versorgungs-Infrastruktur". Auch mache ich den Grundgedanken der Aussage durch ein plastisches Beispiel deutlich: "im Verein".
  6. Ross und Reiter nennen: Es geht um Dorfbewohner. Das war im Geschwurbel untergegangen.

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Jens Jürgen Korff